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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 24. Mai 2012

DIE TIEFSEETAUCHER (2004)

Originaltitel: The Life Aquatic with Steve Zissou
Regie: Wes Anderson, Drehbuch: Noah Baumbach und Wes Anderson, Musik: Mark Mothersbaugh
Darsteller: Bill Murray, Cate Blanchett, Owen Wilson, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Anjelica Huston, Michael Gambon, Seu Jorge, Waris Ahluwalia, Bud Cort, Noah Taylor, Robyn Cohen, Matthew Gray Gubler, Seymour Cassel, Hal Yamanouchi
The Life Aquatic with Steve Zissou
(2004) on IMDb Rotten Tomatoes: 56% (6,1); weltweites Einspielergebnis: $34,8 Mio.
FSK: 12, Dauer: 119 Minuten.

Der exzentrische Dokumentarfilmer Steve Zissou (Bill Murray, "Hyde Park am Hudson") und seine Crew wollen Jagd auf einen geheimnisvollen "Jaguarhai" machen, der Steves besten Freund gefressen hat. Da Steve dem Hai einen Sender verpassen konnte, ist die Suche nach ihm eigentlich gar nicht so aussichtslos. Allerdings kommen ihm schon vor Beginn der Expedition jede Menge Probleme dazwischen: Seine Gattin Eleanor (Anjelica Huston, "50/50") ist seiner zunehmend überdrüssig, ihr arroganter Ex-Mann Hennessey (Jeff Goldblum, "Grand Budapest Hotel"), ebenfalls ein Dokumentarfilmer, stiehlt Steve in der Fachwelt die Schau, und dann taucht auch noch der 30-jährige Ned (Owen Wilson, "Midnight in Paris") auf, der ihn mit der Nachricht überrascht, sein Sohn aus einer lange vergessenen Affäre zu sein. Um sich näher kennenzulernen, lädt Steve Ned ein, Teil seiner Crew zu werden – zum Unwillen vor allem seines eifersüchtigen deutschen Stellvertreters Klaus (Willem Dafoe, "Daybreakers"). Um die sowieso schon chaotische Konstellation noch weiter zu verkomplizieren, haben Steve und sein Finanzier Oseary Drakoulias (Michael Gambon, "Open Range") Probleme bei der Finanzierung der neuen Expedition, weshalb Steve einige Kompromisse eingehen muß. Diese umfassen unter anderem die Anwesenheit eines "Versicherungsfuzzis" (Bud Cort, "Harold und Maude") und der hochschwangeren Journalistin Jane Winslett-Richardson (Cate Blanchett, "Carol"). Zu allem Überfluß hält sich der Jaguarhai auch noch in piratenverseuchten Gewässern auf ...

Kritik:
Im Œuvre des Regisseurs Wes Anderson nimmt "Die Tiefseetaucher" eine besondere Stellung ein. Keiner seiner Filme polarisiert Kritiker und normale Zuschauer so sehr wie diese völlig durchgeknallte (und an den Kinokassen leider gefloppte) Hommage an Jacques-Yves Cousteau. Während die einen die Ansicht vertreten, daß Andersons Regie- und Humorroutinen bereits deutliche Abnutzungserscheinungen zeigen und über seine verrückten Ideen nur den Kopf schütteln können, lieben die anderen "Die Tiefseetaucher" abgöttisch für das überdrehte und unrealistische, aber urkomische und grundsympathische Figurenensemble, für die zahllosen fantasievollen Details und den intelligenten Dialogwitz. Es ist wohl nicht schwer zu erraten: Ich gehöre zur zweiten Gruppe.

Mehr noch als sonst bei Wes Anderson ist der Humor in "Die Tiefseetaucher" ausgesprochen speziell. Wer den Film mit einem großen Publikum sieht, wird sich wundern, wie viele Stellen es gibt, an denen ein Teil der Zuschauer sich vor Lachen kaum noch auf den Sitzen halten kann, während sich der Rest verständnislos fragt, was eigentlich gerade los ist. Ein perfektes Beispiel dafür, das Andersons den ganzen Film (eigentlich alle seine Filme) durchziehende Detailverliebtheit demonstriert, ist ein Interview, das Jane mit dem ziemlich genervten Steve nach Beginn der Reise an Bord des U-Boots führt. Es ist ein recht seriöses journalistisches Gespräch und damit innerhalb des Films von eher mäßigem Interesse. Zum Brüllen komisch wird die zweiminütige Sequenz jedoch dadurch, daß, während im Vordergrund und damit im Fokus des Geschehens Bill Murray und Cate Blanchett mit ernster Miene diskutieren, im Hintergrund ein offenbar gutgelaunter Schwertwal neugierig durchs Fenster schaut und munter kleine Kunststückchen vorführt. Nun, zumindest finden Menschen wie Wes Anderson und seine Fans das zum Brüllen komisch, andere Zuschauer reagieren auf die Szene gar nicht (wer es überprüfen will: die entsprechende Sequenz läßt sich bei Youtube finden).

Im Vergleich zu den anderen Werken des Regisseurs ist "Die Tiefseetaucher" weit klamaukiger ausgefallen und damit eher mit "Die Royal Tenenbaums" vergleichbar als mit "Rushmore" oder "Darjeeling Limited". Im Vergleich zu den Tenenbaums sind die Figuren in "Die Tiefseetaucher" zwar ähnlich bizarr, aber ungleich liebenswürdiger. Selbst dem arroganten, von Jeff Goldblum wunderbar verkörperten Hennessey kann man nie richtig böse sein und Steves Crew ist einfach nur goldig. Vor allem Willem Dafoe als schwäbelnder und mit Ned um Steves Aufmerksamkeit ringender Klaus Daimler ist einfach herrlich anzuschauen (und -hören), Neds naive Gutmütigkeit ist bewundernswert und daß sich Steve allmählich in die ebenfalls von privaten Problemen geplagte Jane verliebt, kann man als Zuschauer absolut nachvollziehen. Und selbstredend ist Bill Murray in der Rolle des vom Tod seines Freundes traumatisierten Steve Zissou schlicht grandios.

Dem Drehbuch, bei dem sich Anderson diesmal von Noah Baumbach (Regisseur und Autor der gefeierten Arthouse-Filme "Der Tintenfisch und der Wal" sowie "Margot und die Hochzeit") helfen ließ, gelingt es im Verbund mit den Schauspielern auf virtuose Art und Weise, jedes einzelne Mitglied dieser großen Personengruppe so überzeugend wie erinnerungswürdig zu präsentieren – auch kleine Nebenrollen wie der erwähnte Versicherungsfuzzi oder eine Gruppe Praktikanten, die zunächst Teil der Expedition ist (darunter Matthew Gray Gubler aus der TV-Serie "Criminal Minds") machen keine Ausnahme. Sie alle, ob miteinander verwandt oder nicht, sind Teil einer kleinen verschworenen Gemeinschaft, Teil einer Familie – typisch Anderson. Selbst eine dramatische Storywendung in der zweiten Hälfte bewirkt erstaunlicherweise keinen Stilbruch, sondern paßt sich wunderbar in den lakonischen Erzählton der ganzen Geschichte ein. Dafür gibt es nur ein Wort: Meisterhaft.

Die visuelle Umsetzung der Unterwasserwelt von "Die Tiefseetaucher" ist ebenfalls hervorragend gelungen, wenngleich passenderweise wie der gesamte Film eindeutig Geschmackssache. Die Spezialeffekte, gerade bezüglich der unterseeischen Lebewesen, wirken nämlich teilweise billig und im Allgemeinen unrealistisch – was jedoch ausdrücklich Sinn der Sache ist, da es sich um eine Hommage an die aus heutiger Sicht trashigen Unterwasser-Filme der 1960er und 1970er Jahre handelt. Bei der Erschaffung der Tiere griff Anderson folgerichtig auf die altmodische, aber bewährte Stop-Motion-Technik zurück und arbeitete dafür mit Henry Selick, dem Regisseur von populären Stop-Motion-Werken wie "Nightmare before Christmas" und "Coraline", zusammen. Das Resultat dieser Kooperation ist ein im Wortsinn fantastisches und unverwechselbares Aussehen der einzigartigen Meereswelt von "Die Tiefseetaucher".

Selbst vor dem Soundtrack macht Wes Andersons Vorliebe für Skurrilitäten nicht halt, denn neben dem normalen Score von Mark Mothersbaugh und einigen Rocksongs trägt ein vom brasilianischen Sänger Seu Jorge gespieltes Crewmitglied von Steve Zissou immer wieder Songs von David Bowie auf Portugiesisch vor ...

Fazit: Für Anhänger schrägen, oftmals pointenfreien Humors (ansatzweise mit Monty Python vergleichbar) und skurriler Figuren ist "Die Tiefseetaucher" ein wahrer Festschmaus. Es sei jedoch gewarnt: Wer eine konventionelle Komödie erwartet, wird sich unter Umständen zu Tode langweilen.

Wertung: 10 Punkte (9 Punkte bei der Erstsichtung, aber da man beim wiederholten Sehen noch stärker auf die zahllosen Details und versteckten Gags achten kann, gibt es von mir eine nachträgliche Aufwertung auf die Höchstpunktzahl).


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