Originaltitel:
Five Star Final
Regie: Mervyn LeRoy, Drehbuch: Byron Morgan, Musik: Leo F.
Forbstein
Darsteller: Edward G. Robinson, Aline MacMahon, Frances
Starr, H.B. Warner, Marian Marsh, Anthony Bushell, Boris Karloff, Oscar Apfel,
George E. Stone, Purnell Pratt
Joseph Randall (Edward G. Robinson), Chefredakteur der
Boulevardzeitung "New York Evening Gazette", ist ein Journalist alter
Schule, der eigentlich am liebsten nur seriöse Artikel drucken möchte. Als die
Auflage der Zeitung gegenüber der Konkurrenz deutlich abfällt, fügt er sich
zwar widerwillig, aber doch ohne großen Protest der Anweisung des Eigentümers
Bernard Hinchecliffe, deutlich stärker als bisher auf
boulevardeske und sensationsheischende Beiträge zu setzen. Den Beginn soll eine
große Serie über Nancy Voorhees (Frances Starr) machen, die 20 Jahre zuvor
schwanger ihren heiratsunwilligen Liebhaber erschoß, von den Geschworenen aber
freigesprochen wurde und sich unter anderem Namen ein neues Leben aufgebaut
hat. Die Reporter der Gazette machen sie dennoch ausfindig und da
zufällig die Hochzeit von Voorhees' (ebenso wie ihr Verlobter nichtsahnender) Tochter mit einem angesehenen Unternehmersohn bevorsteht, bekommt
Randall den Skandal, der die Auflage der Zeitung in ungeahnte
Höhen treiben wird, quasi auf dem Präsentierteller serviert ...
Kritik:
"Es lohnt sich auch nicht, mit Ihnen über Ihre Taten zu
sprechen", klagt der treue Bräutigam in spe Phillip Weeks (Anthony
Bushell, "Die letzte Nacht der Titanic") die Zeitungsmacher kurz vor dem Ende von "Spätausgabe" an. "Sie werden doch damit
fortfahren, kleine, wehrlose, unbedeutende Menschen fertigzumachen. Sie werden
nicht aufhören, in Ihrem Schmutzblatt die entblößten Seelen von Frauen zu
verkaufen, nachdem Sie ihnen die Kleider vom Leib gerissen haben. Sie sind
durch Dreck reich geworden und niemand wagt es, sich gegen Sie zu erheben und
Ihnen das Handwerk zu legen." Man könnte meinen, die Rede sei von
den heutigen Boulevardzeitungen in der westlichen Welt. Gerade der Murdoch-Skandal von 2011 in England hat ja wieder einmal vortrefflich aufgezeigt,
zu welchen Mitteln die Schreiberlinge dieser Blätter absolut skrupellos zu greifen
bereit sind. "Spätausgabe", die Adaption eines Theaterstücks von
Louis Weitzenkorn vom später mit zwei Ehren-OSCARs ausgezeichneten Regisseur Mervyn LeRoy ("Der Zauberer von Oz", "Goldgräber
von 1933", "Little Caesar") zeigt, daß die Methoden eines Teils
der schreibenden Zunft bereits zu Beginn der 1930er Jahre sehr ähnlich gewesen
sein müssen.
In seiner pessimistischen und zynischen Art erinnert
"Spätausgabe" an Humphrey Bogarts letzten Film "Schmutziger Lorbeer" (1956). Während dort der Boxsport bloßgestellt wird,
ist es hier die Boulevardpresse. Und in beiden Fällen ist die Hauptfigur ein erfahrener, eigentlich honoriger, aber vom Leben und von der
Arbeit desillusionierter Vollprofi, der zum bloßen Zwecke des Geldverdienens zu
Methoden greift, die er verabscheut – und damit eine menschliche Tragödie
auslöst. Der großartige Edward G. Robinson, sonst in den 1930er Jahren meist in Gangsterrollen
zu sehen (u.a. als Titeldarsteller in LeRoys kurz zuvor veröffentlichtem "Little Caesar"), beweist
auch in dieser eher ungewohnten Rolle sein ganzes Können. Bekanntlich war in diesem
Jahrzehnt, erst kurz nach dem Ende der Stummfilmära, noch ein übertriebenes
Schauspiel der Standard, das für heutige Sehgewohnheiten mitunter recht gewöhnungsbedürftig wirkt – vor allem, wenn man nur selten alte Filme sieht.
Bei Robinsons Darstellung des Joseph Randall ist das streng genommen kaum anders, aber wem es gelingt, sich den ständigen Vergleich mit dem heutigen
Schauspiel-Standard abzugewöhnen, der muß einfach beeindruckt sein von der faszinierenden Mischung aus Intensität, Theatralik und auch
Tiefgründigkeit, die er dem Chefredakteur verleiht. Joseph Randall mag kein übermäßig origineller
Protagonist sein, dafür aber ein spannender, gut geschriebener und ausgezeichnet gespielter.
Ähnliches gilt erfreulicherweise für die meisten anderen
Figuren und Darsteller. So liefert Boris Karloff wenige Monate vor seinem Durchbruch zum
Weltstar in James Whales "Frankenstein" eine eindrucksvolle Leistung als schmieriger
Ex-Priesterschüler Isopod ab, der bei der Zeitung als Randalls Mann für die
besonders schmutzigen Geschäfte fungiert. Theaterschauspielerin Frances Starr
bewegt das Publikum in einem ihrer nur drei Ausflüge zum Film als
geläuterte Mörderin Nancy Voorhees und der Brite H.B. Warner (agierte in fast allen
Klassikern von Frank Capra, darunter "Ist das Leben nicht schön?"
und "In den Fesseln von Shangri-La", für den er eine
OSCAR-Nominierung erhielt) rührt in einer Schlüsselszene als ihr liebevoller,
fürsorglicher Ehemann gar zu Tränen.
Das Drehbuch von "Spätausgabe" ist zwar nicht gerade subtil und man möchte hoffen,
daß manches des Geschilderten doch übertrieben ist (auch wenn es vermutlich eine naive Hoffnung ist),
aber dramaturgisch ist es ausgesprochen effektiv aufgebaut und schafft es
sogar, die für einen 85-Minuten-Film recht große Anzahl an wichtigen Figuren angemessen in die Geschichte einzubinden. Daß "Spätausgabe" einer der
sogenannten Pre-Code-Filme ist, also noch vor der bindenden Einführung der
Zensurrichtlinien im Jahr 1934 gedreht und veröffentlicht wurde, erkennt man
neben der bitterbösen Darstellung der Boulevardpresse übrigens auch daran, daß
Nancy Voorhees' Vergangenheit im Filmverlauf nie wirklich thematisiert wird.
Nach 1934 wäre es kaum möglich gewesen, eine geständige Mörderin so
positiv und mitfühlend darzustellen. In "Spätausgabe" dagegen wird grundsätzlich
kaum auf die Tat eingegangen und durch das Verhalten der
Journaille in Kombination mit ihrer geständigen Reue steht für das Publikum eigentlich
außer Frage, daß Nancy Voorhees hier das Opfer ist. Eine ungewöhnliche, moralisch mit Sicherheit diskutable Sichtweise. Aber im Zentrum des Films steht nun einmal
nicht ihre lange zurückliegende Untat, sondern die Regenbogenpresse.
Fazit: "Spätausgabe" ist ein mutiges und
leidenschaftlich vorgetragenes Pamphlet gegen die Boulevardpresse im Speziellen
und gegen Sensationsgier zu Lasten Einzelner im Allgemeinen. Dabei scheut Regisseur LeRoy nicht vor einem guten Schuß Pathos zurück und die an sich psychologisch überzeugend
geschriebenen Figuren wirken recht symbolbeladen. Angesichts des Kontextes
schadet dies dem Unterhaltungswert und der Aussage des Films
aber wenig, zumal die schauspielerischen Leistungen durch die Bank beeindrucken. Eine ausgeprägte Abneigung gegen die Methoden der Boulevardpresse dürfte für den Genuß von "Spätausgabe" aber naheliegenderweise von Vorteil sein ...
Wertung: 9 Punkte.
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