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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 24. August 2012

Klassiker-Rezension: SPÄTAUSGABE (1931)

Originaltitel: Five Star Final
Regie: Mervyn LeRoy, Drehbuch: Byron Morgan, Musik: Leo F. Forbstein
Darsteller: Edward G. Robinson, Aline MacMahon, Frances Starr, H.B. Warner, Marian Marsh, Anthony Bushell, Boris Karloff, Oscar Apfel, George E. Stone, Purnell Pratt
 Five Star Final
(1931) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (7,3); FSK: nicht geprüft, Dauer: 89 Minuten.
Joseph Randall (Edward G. Robinson), Chefredakteur der Boulevardzeitung "New York Evening Gazette", ist ein Journalist alter Schule, der eigentlich am liebsten nur seriöse Artikel drucken möchte. Als die Auflage der Zeitung gegenüber der Konkurrenz deutlich abfällt, fügt er sich zwar widerwillig, aber doch ohne großen Protest der Anweisung des Eigentümers Bernard Hinchecliffe, deutlich stärker als bisher auf boulevardeske und sensationsheischende Beiträge zu setzen. Den Beginn soll eine große Serie über Nancy Voorhees (Frances Starr) machen, die 20 Jahre zuvor schwanger ihren heiratsunwilligen Liebhaber erschoß, von den Geschworenen aber freigesprochen wurde und sich unter anderem Namen ein neues Leben aufgebaut hat. Die Reporter der Gazette machen sie dennoch ausfindig und da zufällig die Hochzeit von Voorhees' (ebenso wie ihr Verlobter nichtsahnender) Tochter mit einem angesehenen Unternehmersohn bevorsteht, bekommt Randall den Skandal, der die Auflage der Zeitung in ungeahnte Höhen treiben wird, quasi auf dem Präsentierteller serviert ...

Kritik:
"Es lohnt sich auch nicht, mit Ihnen über Ihre Taten zu sprechen", klagt der treue Bräutigam in spe Phillip Weeks (Anthony Bushell, "Die letzte Nacht der Titanic") die Zeitungsmacher kurz vor dem Ende von "Spätausgabe" an. "Sie werden doch damit fortfahren, kleine, wehrlose, unbedeutende Menschen fertigzumachen. Sie werden nicht aufhören, in Ihrem Schmutzblatt die entblößten Seelen von Frauen zu verkaufen, nachdem Sie ihnen die Kleider vom Leib gerissen haben. Sie sind durch Dreck reich geworden und niemand wagt es, sich gegen Sie zu erheben und Ihnen das Handwerk zu legen." Man könnte meinen, die Rede sei von den heutigen Boulevardzeitungen in der westlichen Welt. Gerade der Murdoch-Skandal von 2011 in England hat ja wieder einmal vortrefflich aufgezeigt, zu welchen Mitteln die Schreiberlinge dieser Blätter absolut skrupellos zu greifen bereit sind. "Spätausgabe", die Adaption eines Theaterstücks von Louis Weitzenkorn vom später mit zwei Ehren-OSCARs ausgezeichneten Regisseur Mervyn LeRoy ("Der Zauberer von Oz", "Goldgräber von 1933", "Little Caesar") zeigt, daß die Methoden eines Teils der schreibenden Zunft bereits zu Beginn der 1930er Jahre sehr ähnlich gewesen sein müssen.

In seiner pessimistischen und zynischen Art erinnert "Spätausgabe" an Humphrey Bogarts letzten Film "Schmutziger Lorbeer" (1956). Während dort der Boxsport bloßgestellt wird, ist es hier die Boulevardpresse. Und in beiden Fällen ist die Hauptfigur ein erfahrener, eigentlich honoriger, aber vom Leben und von der Arbeit desillusionierter Vollprofi, der zum bloßen Zwecke des Geldverdienens zu Methoden greift, die er verabscheut – und damit eine menschliche Tragödie auslöst. Der großartige Edward G. Robinson, sonst in den 1930er Jahren meist in Gangsterrollen zu sehen (u.a. als Titeldarsteller in LeRoys kurz zuvor veröffentlichtem "Little Caesar"), beweist auch in dieser eher ungewohnten Rolle sein ganzes Können. Bekanntlich war in diesem Jahrzehnt, erst kurz nach dem Ende der Stummfilmära, noch ein übertriebenes Schauspiel der Standard, das für heutige Sehgewohnheiten mitunter recht gewöhnungsbedürftig wirkt – vor allem, wenn man nur selten alte Filme sieht. Bei Robinsons Darstellung des Joseph Randall ist das streng genommen kaum anders, aber wem es gelingt, sich den ständigen Vergleich mit dem heutigen Schauspiel-Standard abzugewöhnen, der muß einfach beeindruckt sein von der faszinierenden Mischung aus Intensität, Theatralik und auch Tiefgründigkeit, die er dem Chefredakteur verleiht. Joseph Randall mag kein übermäßig origineller Protagonist sein, dafür aber ein spannender, gut geschriebener und ausgezeichnet gespielter.

Ähnliches gilt erfreulicherweise für die meisten anderen Figuren und Darsteller. So liefert Boris Karloff wenige Monate vor seinem Durchbruch zum Weltstar in James Whales "Frankenstein" eine eindrucksvolle Leistung als schmieriger Ex-Priesterschüler Isopod ab, der bei der Zeitung als Randalls Mann für die besonders schmutzigen Geschäfte fungiert. Theaterschauspielerin Frances Starr bewegt das Publikum in einem ihrer nur drei Ausflüge zum Film als geläuterte Mörderin Nancy Voorhees und der Brite H.B. Warner (agierte in fast allen Klassikern von Frank Capra, darunter "Ist das Leben nicht schön?" und "In den Fesseln von Shangri-La", für den er eine OSCAR-Nominierung erhielt) rührt in einer Schlüsselszene als ihr liebevoller, fürsorglicher Ehemann gar zu Tränen.

Das Drehbuch von "Spätausgabe" ist zwar nicht gerade subtil und man möchte hoffen, daß manches des Geschilderten doch übertrieben ist (auch wenn es vermutlich eine naive Hoffnung ist), aber dramaturgisch ist es ausgesprochen effektiv aufgebaut und schafft es sogar, die für einen 85-Minuten-Film recht große Anzahl an wichtigen Figuren angemessen in die Geschichte einzubinden. Daß "Spätausgabe" einer der sogenannten Pre-Code-Filme ist, also noch vor der bindenden Einführung der Zensurrichtlinien im Jahr 1934 gedreht und veröffentlicht wurde, erkennt man neben der bitterbösen Darstellung der Boulevardpresse übrigens auch daran, daß Nancy Voorhees' Vergangenheit im Filmverlauf nie wirklich thematisiert wird. Nach 1934 wäre es kaum möglich gewesen, eine geständige Mörderin so positiv und mitfühlend darzustellen. In "Spätausgabe" dagegen wird grundsätzlich kaum auf die Tat eingegangen und durch das Verhalten der Journaille in Kombination mit ihrer geständigen Reue steht für das Publikum eigentlich außer Frage, daß Nancy Voorhees hier das Opfer ist. Eine ungewöhnliche, moralisch mit Sicherheit diskutable Sichtweise. Aber im Zentrum des Films steht nun einmal nicht ihre lange zurückliegende Untat, sondern die Regenbogenpresse.

Fazit: "Spätausgabe" ist ein mutiges und leidenschaftlich vorgetragenes Pamphlet gegen die Boulevardpresse im Speziellen und gegen Sensationsgier zu Lasten Einzelner im Allgemeinen. Dabei scheut Regisseur LeRoy nicht vor einem guten Schuß Pathos zurück und die an sich psychologisch überzeugend geschriebenen Figuren wirken recht symbolbeladen. Angesichts des Kontextes schadet dies dem Unterhaltungswert und der Aussage des Films aber wenig, zumal die schauspielerischen Leistungen durch die Bank beeindrucken. Eine ausgeprägte Abneigung gegen die Methoden der Boulevardpresse dürfte für den Genuß von "Spätausgabe" aber naheliegenderweise von Vorteil sein ...

Wertung: 9 Punkte.


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