Regie:
William Friedkin, Drehbuch: Tracy Letts, Musik: Tyler Bates
Darsteller:
Matthew McConaughey, Emile Hirsch, Juno Temple, Thomas Haden Church, Gina
Gershon, Marc Macaulay
Nachdem seine Mutter seinen Drogenvorrat gefunden und
verkauft hat, befindet sich der junge Drogendealer Chris (Emile Hirsch, "Into the
Wild", "Savages") in echten Schwierigkeiten. Denn wenn er dem
örtlichen Gangsterboß nicht innerhalb weniger Tage seine Schulden zurückzahlt, geht es ihm an den Kragen. Da seine Mutter schließlich an dem ganzen Schlamassel Schuld ist,
findet es Chris nur angemessen, daß sie ihm auch wieder heraushilft. Und zwar indem sie mit Zustimmung seines inzwischen mit der pragmatischen
Sharla (Gina Gershon, "Showgirls") verheirateten
Vaters Ansel (Thomas Haden Church, "Einfach zu haben") von dem im Nebenjob als Auftragskiller tätigen Polizisten Joe (Matthew
McConaughey, "Magic Mike") für die Lebens-versicherungssumme
von $50.000 umgebracht wird. Ungünstigerweise besteht Joe auf eine Vorauszahlung, die
weder Chris noch Ansel leisten können. Als Kompromiß bietet Joe an, den Auftrag
dennoch auszuführen, wenn er vorübergehend Chris' attraktive jüngere
Schwester Dottie (Juno Temple, "The Dark Knight Rises", "Die drei Musketiere") überlassen bekommt ...
Kritik:
In den 1970er Jahren zählte der US-amerikanische Regisseur und Produzent
William Friedkin zu den einflußreichsten Personen der Filmbranche und war neben
Männern wie Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese eine treibende Kraft des
"New Hollywood", das die über Jahrzehnte hinweg verkrusteten Strukturen der Branche radikal
aufbrach und damit einen erfolgreichen Neubeginn für die gebeutelte
Filmindustrie einläutete. Mit dem rauhen Polizei-Thriller "French
Connection" machte er 1971 Gene Hackman zum Star, zwei Jahre später gelang
ihm mit "Der Exorzist" das Kunststück, mit einem Horrorstreifen für den OSCAR für den besten Film des Jahres nominiert zu werden. Beide Filme
werden heute zu den ganz großen Klassikern der Kinogeschichte gezählt. Mit
"Die Harten und die Zarten" und dem (allerdings kommerziell
erfolglosen) Remake "Atemlos vor Angst" schuf er in diesem Jahrzehnt
noch zwei weitere künstlerische Erfolge, doch dann ging seiner
Karriere nach mehreren Kassenflops rasch die Luft aus. Abgesehen von dem
Thriller "Leben und Sterben in L.A." (1985) mit William Petersen und
Willem Dafoe sowie dem TV-Remake von "Die zwölf Geschworenen" (1997) hat sein
Lebenslauf in den vergangenen 30 Jahren wenig Überzeugendes zu bieten. Erst im
Alter von 76 Jahren gelingt ihm mit der düsteren, schwarzhumorigen
Theater-Verfilmung "Killer Joe" ein nicht mehr erwartetes Comeback.
Zumindest in künstlerischer Hinsicht, denn für einen Kassenerfolg ist dieser
Film viel zu radikal.
Friedkin stellt eine kaputte Familie ins Zentrum seines
Werks, die geradezu die Verkörperung des verächtlichen Begriffs "White
Trash" ist. Die Mutter (die im eigentlichen Film gar nicht auftaucht)
bestiehlt ihren Sohn, der wiederum ein skrupelloser Kleinkrimineller ist. Der
Vater wirkt grundsätzlich halbwegs vernünftig, läßt sich aber von der Aussicht auf etwas Geld
schnell zu den größten Schandtaten überreden, was auch seine neue Frau ausnutzt. Lediglich Dottie erscheint zumindest auf den ersten Blick
unschuldig, was sie in dieser Familie aber garantiert nicht lange bleiben wird.
Womit wir beim titelgebenden "Killer Joe" wären. Erst durch sein
(bestelltes) Auftauchen kommt Fahrt in die ganze Szenerie, werden die Abgründe
und die tiefgreifende moralische Verkommenheit der Familie offenbar. Dabei ist
Joe als einziger stets ehrlich – von Anfang läßt er keinerlei Zweifel an seinen
Absichten und macht immer genau das, was er zuvor angekündigt hat. Er ist also
eine komplett berechenbare, auf perverse Art und Weise faire Figur, bei der es
eigentlich leicht ist, ihn zufriedenzustellen. Wer ihn jedoch um den vereinbarten Lohn bringen will, dem Gnade Gott, denn Joes Zorn ist wahrlich
furchterregend!
Matthew McConaughey, Etikett "ewiger
Frauenschwarm", das er zuletzt in Steven Soderberghs Stripper-Komödie
"Magic Mike" wieder einmal unterstrich, liefert in und als komplett
gegen den Strich besetzter "Killer Joe" die beeindruckendste
schauspielerische Leistung seines Lebens ab, die Kritiker zurecht ins Schwärmen
geraten läßt. Sogar vage Chancen auf eine OSCAR-Nominierung werden ihm
eingeräumt, zu der es aber kaum kommen wird, weil der Film selbst viel zu
forsch und direkt für viele Academy-Mitglieder ist (ähnliches war vergangenes
Jahr beim "Shame"-Hauptdarsteller Michael Fassbender zu beobachten).
McConaughey porträtiert den hartgesottenen, korrumpierten Südstaaten-Cop mit lange Zeit
reduziertem Mienenspiel und einer so bedrohlichen Intensität, daß selbst die
härtesten Gangster nicht auf die Idee kommen würden, ihn gezielt zu hintergehen. Und wenn er seine wie eine Maske zur Schau getragene Coolneß dann doch
einmal fallen läßt, resultiert dies in einem eruptiven Ausbruch, der nicht
nur Blut fließen läßt, sondern auch dafür sorgt, daß man frittierte
Hähnchenteile nach dem Film garantiert nicht mehr auf die gleiche Weise sieht
wie vorher. Kurzum: Matthew McConaughey ist als "Killer Joe" eine
Wucht.
Befördert wird seine Leistung mit Sicherheit auch durch
seine ihm kaum nachstehenden Leinwandpartner. Thomas Haden
Church brilliert als lakonischer Vater ebenso wie Gina Gershon, die in einer
sehr zeigefreudigen Rolle ihre wohl beste Leistung seit "Bound" im
Jahr 1996 abliefert. Emile Hirsch gelingt es in der Hauptrolle überzeugend, den
inneren Zwiespalt von Chris darzustellen, der seine Schwester ganz
offensichtlich aufrichtig liebt, sie in seiner Verzweiflung und Todesangst aber
dennoch dem mörderischen Cop als Sexspielzeug überläßt. Noch besser ist jedoch
Juno Temple, die in ihrer kindlich wirkenden Rolle ebenfalls beeindruckt, indem
sie, passend zu Dotties ambivalenter Gefühlslage, gekonnt zwischen lolitahafter Verführerin
und personifizierter Unschuld changiert, deren Mißbrauch umso stärker emotional
aufwühlt. Insgesamt also eine beeindruckende Besetzung, deren Zusammenspiel maßgeblich zum Gelingen von "Killer Joe" beiträgt.
Friedkins erzählt die von Tracy Letts, dem Autor der
Theatervorlage, selbst in ein Drehbuch umgearbeitete Geschichte in einem betont
lakonischen Tonfall, angereichert mit jeder Menge tiefschwarzen Humors und
deutlichen Referenzen an das Genre des Film noir. Der gelungene
Südstaaten-Soundtrack unterstreicht die schwüle Atmosphäre von "Killer
Joe", einem Film, der nicht nur seinen Figuren und ihren Darstellern alles
abverlangt, sondern auch seinem Publikum. Kein Wunder, daß Friedkins Werk in
den USA mit dem gefürchteten "NC-17"-Rating abgestraft wurde, das im
Normalfall dem kommerziellen Todesstoß gleichkommt, da viele US-Kinos und
Videotheken Filme mit dieser (mehr oder weniger mit dem FSK-Urteil "Keine Jugendfreigabe" vergleichbaren) Einstufung gar nicht erst ins Programm aufnehmen
(der bis heute erfolgreichste NC-17-Kinofilm ist Paul Verhoevens
"Showgirls" mit einem US-Einspielergebnis von gerade einmal knapp
$20,4 Mio., "Killer Joe" hat es auf $2 Mio.
gebracht). Dabei ist die Story sogar überraschend dialoglastig und zu nennenswerten
Gewaltszenen kommt es erst im finalen Akt – dessen Ende übrigens inhaltlich für reichlich Gesprächsstoff sorgt und beileibe nicht jeden Zuschauer zufriedengestellt
zurückläßt.
Fazit: "Killer Joe" ist ein höchst
unkonventioneller und schonungsloser, von Altmeister William Friedkin kunstfertig
inszenierter Thriller mit einem fast ausnahmslos moralisch verkommenen
Figurenensemble, grandiosen Schauspielern und jener Art von schwarzem Humor,
die den Zuschauern das Lachen regelmäßig im Hals steckenbleiben läßt. Die brachiale Handlung voller Sex und Gewalt ist dabei wahrlich nicht für jeden
geeignet.
Wertung: 8 Punkte.
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