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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 20. Dezember 2016

ARRIVAL (2016)

Regie: Denis Villeneuve, Drehbuch: Eric Heisserer, Musik: Jóhann Jóhannsson
Darsteller: Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg, Mark O'Brien, Tzi Ma
 Arrival
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 94% (8,4); weltweites Einspielergebnis: $203,4 Mio.
FSK: 12, Dauer: 117 Minuten.

Als zwölf riesige, muschelförmige außerirdische Objekte – vermutlich Raumschiffe – überall auf der Welt verteilt landen, hält die Menschheit den Atem an. Doch zum Ausatmen kommt sie so schnell nicht, denn nach der Landung tut sich tagelang gar nichts, was die Anspannung in der Bevölkerung nicht eben senkt. Wie die erfahrene Linguistin und College-Professorin Dr. Louise Banks (Amy Adams, "American Hustle") bald herausfindet, geschieht hinter den Kulissen doch etwas, denn die Aliens haben an jedem Raumschiff – deren Landeplätze selbstverständlich vom jeweils zuständigen Militär hermetisch abgeriegelt wurden – den Menschen Einlaß gewährt. Das Problem an der Sache ist: Niemand versteht die nicht-humanoiden Außerirdischen. Hier kommt Louise ins Spiel, die im Auftrag von Colonel Weber (Forest Whitaker, "Rogue One") Kontakt zu jenen zwei Aliens aufnehmen soll, die sich in der in den USA gelandeten Muschel zeigen. Gemeinsam mit dem Physiker Ian Donnelly (Jeremy Renner, "Mission: Impossible – Rogue Nation") macht sich Louise unter ständigem Druck der immer ungeduldiger werdenden Politiker, Militärs und Bundesagenten wie CIA-Mann Halpern (Michael Stuhlbarg, "Steve Jobs") daran, eine Verständigungsmöglichkeit zu finden – die Zeit drängt auch deshalb, weil einige Staaten sich bereits auf einen Angriff auf die geheimnisvollen Außerirdischen vorbereiten …

Kritik:
Der bisherige Karrierepfad des kanadischen Filmemachers Denis Villeneuve ist speziell in den letzten Jahren wahrlich atemberaubend. Nachdem er bereits ab Anfang 30 in seiner Heimat mit preisgekrönten, inhaltlich recht unkonventionellen französischsprachigen Produktionen wie "Der 32. August auf Erden", "Maelström" und "Polytechnique" auf sich aufmerksam machte, folgte im Jahr 2010 mit dem OSCAR-nominierten Mittlerer Osten-Drama "Incendies – Die Frau, die singt" (aktuell Platz 153 in den IMDb Top 250 der besten Filme aller Zeiten!) der internationale Durchbruch. Der führte ihn natürlich nach Hollywood, wo er mit dem grimmigen Psychothriller "Prisoners" drei Jahre später sein bemerkenswertes, ebenfalls für einen OSCAR nominiertes Debüt feierte, auch wenn der Film kommerziell etwas hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb. Noch im gleichen Jahr ließ Villeneuve den nischigen Arthouse-Mysterythriller "Enemy" mit Jake Gyllenhaal folgen, dann kam mit dem brillanten Drogenkriegs-Actionthriller "Sicario" (schon drei OSCAR-Nominierungen) der nächste Karriereschritt. Und es scheint immer weiter nach oben zu gehen für Villeneuve: Mit dem philosophisch angehauchten SciFi-Drama "Arrival" (satte acht OSCAR-Nominierungen, eine Statue für den Tonschnitt) begeistert er Kritiker und Zuschauer, dann steht mit der Kultfilm-Fortsetzung "Blade Runner 2049" der erste potentielle Blockbuster für ihn an. Villeneuves Filme zeichnen sich durch spannende, unverbrauchte Themen aus, die er mutig und häufig mit innovativen inszenatorischen Mitteln präsentiert und dazu paßgenau mit erstklassigen Schauspielern besetzt. Das alles trifft auch auf "Arrival" zu – dennoch muß ich zugegeben, daß er mich ob der allgegenwärtigen Lobeshymnen auf hohem Niveau doch etwas enttäuscht hat.

Das hängt vor allem mit einer entscheidenden Storywendung kurz vor Schluß zusammen, auf die ich inhaltlich zwecks Spoilervermeidung gar nicht näher eingehen will, die aber zu einem Themenkomplex gehört, mit dem ich bei Filmen, Serien und Büchern schon immer so meine Probleme hinsichtlich Glaubwürdigkeit und vor allem Logik hatte. Wenn ich diese letzten 20 bis 30 Minuten ausblende, dann ist "Arrival" allerdings in der Tat ein außergewöhnlicher Film, der wenig mit dem zu tun hat, was die meisten normalerweise mit "Science Fiction" verbinden – auf spektakuläre Actionszenen sollte jedenfalls niemand hoffen, "Arrival" ist viel eher mit einem Film wie Robert Zemeckis' "Contact" mit Jodie Foster aus dem Jahr 1997 zu vergleichen, auch Steven Spielbergs früher Klassiker "Unheimliche Begegnung der dritten Art" von 1977 kommt einem in den Sinn. Hier stehen Kommunikation und wissenschaftliche Neugier im Vordergrund – das mag für einige potentielle Kinogänger ziemlich langweilig klingen, ist es dank Villeneuves erstklassiger Inszenierung und Eric Heisserers ("Lights Out") über weite Strecken intelligentem Drehbuch (basierend auf einer Kurzgeschichte von Ted Chiang) aber überhaupt nicht. Man mag es kaum glauben, wie spannend, faszinierend und unterhaltsam es ist, Louise und Ian dabei zuzuschauen, wie sie über Wochen hinweg mit kleinen Schritten versuchen, eine gemeinsame Kommunikationsbasis mit den humorvoll "Abbott und Costello" getauften Außerirdischen zu etablieren – doch es ist einfach so!

Die Sache mit den Fremden mit ganz eigener Kultur und Verständigungsproblemen kann man natürlich auch als Metapher für reale irdische Konflikte betrachten, von der Flüchtlingskrise bis hin zu dem zunehmend wiederaufflammenden Ost-West-Konflikt. Denis Villeneuve unterstützt diese Betrachtungsweise sogar durch die wiederholte Einbindung von (natürlich fiktionalen) Schnipseln aus Nachrichtensendungen und Radio-Talkshows, in denen etwa rechtskonservative Moderatoren (die im amerikanischen Rundfunk ja weit verbreitet sind) offen zur Gewalt, zum Erstschlag gegen die Aliens – was übrigens ja, das vergißt man gerne, das englische Wort für "Fremde" ist – aufrufen. Weil es auch eine ganz tolle Idee ist, die offensichtlich technologisch weit überlegenen Außerirdischen einfach auf gut Glück anzugreifen … jedoch reitet Villeneuve nicht zu stark auf diesem Aspekt herum, auch wenn er immerhin als Auslöser für einen nicht unwichtigen, von der Logik her nicht gänzlich überzeugenden, aber zum Glück recht kurzen Handlungsstrang rund um den für den Schutz der Wissenschaftler zuständigen Captain Marks (Mark O'Brien, TV-Serie "Halt and Catch Fire") dient. Stattdessen stehen die für die Erhaltung des Friedens so bedeutenden Bemühungen von Louise und Ian im Vordergrund, was auch viel interessanter ist (da man es eben nicht schon dutzendfach gesehen hat).

Daran haben naturgemäß auch die Schauspieler ihren Anteil, gerade da ihre Figuren hier nichts tun, was im herkömmlichen Kinosinne übermäßig spannend oder gar spektakulär wäre. Amy Adams, die mit Anfang 40 vermutlich auf dem Zenit ihrer großartigen Karriere angelangt ist, ist eine tolle Identifikationsfigur für das Publikum: selbstbewußt, wenn auch durch ein persönliches Trauma in der Vergangenheit verletzlich und deshalb im Umgang mit anderen zurückhaltend, klug, forsch, neugierig, einfühlsam. Adams bringt diese Facetten mit spielerischer Leichtigkeit zur Geltung und schafft so eine außergewöhnliche Protagonistin, die auf ihre ganz spezielle Art und Weise und trotz maximal unterschiedlicher Vorgehensweise gar nicht so weit entfernt ist von der ersten ganz großen SciFi-Kinoheldin überhaupt entfernt: Ellen Ripley aus der "Alien"-Reihe. Jeremy Renner steht Amy Adams jedoch kaum nach, als freundlicher Physiker Ian gelingt es ihm ironischerweise immer wieder, die ungewöhnlichen Situationen, in die sie ihre Treffen mit "Abbott und Costello" bringen, mit einem pointierten Oneliner auf den Punkt zu bringen, während die eigentliche Sprachexpertin Louise vor Überwältigung nur stumm staunen kann. Louise und Ian sind ein tolles Duo, dem man sehr gerne zuschaut, unterstützt von Forest Whitaker, der mit gewohntem Charisma den vernünftigen, um Deeskalation bemühten Colonel Weber gibt.

Zu den hervorragend computergenerierten Außerirdischen selbst will ich eigentlich gar nicht viel sagen, sie haben aber ein ebenso originelles wie glaubwürdiges Design erhalten und wirken bemerkenswert überzeugend. Es ist erstaunlich, wie nahe man den so maximal fremdartigen "Abbott und Costello" als Zuschauer kommt, wenn man die winzigen, mit reichlich Hirnschmalz sehr hart erarbeiteten Fortschritte bei der Kontaktaufnahme zwischen ihnen und den Menschen mitverfolgt. Diese lingiustischen Szenen, die ungewöhnlicherweise den größten Raum der Story einnehmen, unterhalten und faszinieren dank Villeneuves Mut zur Entschleunigung und seiner einfühlsamen, innovativen Inszenierung; auch der geigenlastige, emotionale und mit Einflüssen der Weltmusik angereicherte Score des Isländers Jóhann Jóhannsson ("Die Entdeckung der Unendlichkeit") tut das Seine, um eine intensive und passenderweise irgendwie außerweltliche Atmosphäre zu schaffen. Wären da nicht die erwähnte, für mich problematische Storywendung im letzten Akt und ein paar nicht gänzlich nachvollziehbare Handlungsweisen von Nebenfiguren, wäre "Arrival" – der wie der Arthouse-Komplementär zu Christopher Nolans "Interstellar" wirkt – ein für Hollywood geradezu bahnbrechender Film, so ist er zumindest noch ein mutiger und richtig guter. Und das ist ja auch nicht schlecht.

Fazit: "Arrival" ist ein intelligentes Science Fiction-Drama, das anders als viele Genrekollegen den Schwerpunkt nicht auf die Action setzt, sondern auf die Handlung – und die ist, so trocken sie mit ihrem Linguistik-Schwerpunkt in der Theorie auch klingen mag, trotz kleinerer Mängel spannend und unterhaltsam und profitiert zudem von den hervorragenden Schauspielleistungen von Amy Adams und Jeremy Renner.

Wertung: 8 Punkte.


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